Märchen über Medikamente

Märchen über Medikamente
23 April, 2012 – 21:06 — Udo Ahlbrecht

Über Medikamente sind einige Märchen im Umlauf. Dr. Ursula Sellerberg von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände stellt sie richtig.

Irrtum Nummer 1:
Günstigere Präparate sind nicht so gut wie das Original.

„Es gibt keine Unterschiede in der Wirkung, so lange es sich um exakt die gleiche Darreichungsform handelt“, sagt die Apothekerin. „Man kann Kapseln nicht mit Tabletten vergleichen, sie wirken nach unterschiedlichen Zeiten. Aber Tabletten verschiedener Hersteller mit dem gleichen Wirkstoff in der identischen Darreichungsform wirken auch gleich.“ Die Preisunterschiede gibt es, weil die Hersteller dafür keine erneute Forschung betreiben. „Der Wirkstoff ist seit Jahren bekannt und weitestgehend erforscht“, sagt Sellerberg. „Diese Ersparnisse bei der Forschung erlauben es den Anbietern von Generika, so günstig zu sein. Trotzdem unterliegen ihre Medikamente den gleichen strengen Zulassungsregeln wie jedes andere Medikament. Wenn also Patienten in der Apotheke ein günstigeres Präparat wählen, können sie beruhigt sein. Das gilt auch, wenn die Krankenkasse einen Rabattvertrag mit einem Generika–Hersteller abschließt.“

Irrtum Nummer 2:
Nahrungsergänzungsmittel und frei verkäufliche Medikamente haben keine Nebenwirkungen.

„Das ist falsch, weil selbst Kalziumtabletten Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln haben können“, erklärt die Expertin. „Ein weiteres Beispiel ist Johanniskraut. Es kann dafür sorgen, dass die Anti–Baby–Pille ihre Wirkung verliert.“ Deshalb sollte man in der Apotheke immer angeben, welche Präparate man einnimmt – auch wenn sie aus einer Drogerie stammen. Nur so kann der Apotheker Wechselwirkungen ausschließen. Darüber hinaus berate der Apotheker seine Kunden, zum Beispiel über die richtige Dosierung.

Irrtum Nummer 3:
Der Arzt muss rabattierte Arzneimittel verschreiben.

„Nein, die Ärzte behalten weiterhin die sogenannte Therapiefreiheit. Das bedeutet, dass sie alleine über die medizinische Notwendigkeit und den Einsatz von Medikamenten bestimmen“, stellt Sellerberg richtig. Die Ärzte sind aber per Gesetz zu einer wirtschaftlichen Verordnungsweise verpflichtet. Die Rabattverträge helfen ihnen dabei, das jeweils günstigste Medikament zu verschreiben. Die Apothekerin weist darauf hin, dass jeder Arzt auch die Möglichkeit hat, statt eines bestimmten Präparats nur einen Wirkstoff auf das Rezept zu schreiben (Aut–idem–Regel). „Dann wählt der Apotheker ein günstiges Medikament aus.“

Irrtum Nummer 4:
Zum Herunterspülen von Medikamenten ist jede Flüssigkeit geeignet.

„Tatsächlich kann man nur Leitungswasser immer bedenkenlos nehmen“, erklärt die Apothekerin. „Selbst Mineralwasser kann Wechselwirkungen hervorrufen, zum Beispiel bei Osteoporose–Mitteln.“ Aber auch von Milch rät Sellerberg ab: „Die verträgt sich nicht mit verschiedenen Antibiotika.“ Ebenfalls ungeeignet sind nach Auskunft der Expertin Säfte oder Flüssigkeiten, die Säuren beinhalten. „Bekannt ist zum Beispiel, dass Grapefruitsaft bei Herzmitteln Wechselwirkungen hervorrufen kann. Auch Hagebuttentee ist nicht ganz ohne. Das sieht man zum Beispiel, wenn man Milch hinein gibt – sie flockt durch die Säure aus. Ebenso könnte Fruchtsäure in Tee oder Säften Wirkstoffe zerstören.“

Irrtum Nummer 5:
Arzneimittel, die nicht verschrieben werden müssen, kann man unbegrenzt lange einnehmen.

„Als Faustregel gilt: Schmerzmittel nicht länger als drei Tage und nicht häufiger als zehnmal im Monat einnehmen“, sagt Sellerberg. Werden sie zu häufig eingenommen, verursachen sie Kopfschmerzen. Aus diesem Grund ist es wichtig, sich von einem Apotheker beraten zu lassen. Auch Abführmittel und andere frei verkäufliche Präparate können auf Dauer die Gesundheit schädigen.

Irrtum Nummer 6:
Für harmlose Arzneimittel kann man Kinder in die Apotheke schicken.

„Apotheker dürfen Kindern die Präparate zwar aushändigen, tun das aber ungern“, sagt die Apothekerin. Denn auch rezeptfreie Arzneimittel wie Kopfschmerztabletten oder Erkältungsmittel können bei falscher Anwendung der Gesundheit schaden. „Die Apotheker beraten über Arzneimittel – Kinder können aber Einnahmehinweise nicht verstehen oder sich diese nicht merken“, erklärt Sellerberg. „Wenn der Apotheker Fragen zu anderen Medikamenten und möglichen Wechselwirkungen hat, kann ein Kind diese vermutlich nicht beantworten.“ Besser sei es, Medikamente selbst abzuholen oder einen Erwachsenen um den Botengang zu bitten.

Irrtum Nummer 7:
Ein Antibiotikum kann man einfach absetzen.

„Gegen viele Infektionen wirken Antibiotika sehr schnell. Aber nur weil die Beschwerden verschwunden sind, bedeutet das nicht, dass die Krankheitserreger komplett besiegt sind. Auch jetzt droht ein Rückfall“, beschreibt die Expertin die Problematik. Um die letzten übrig gebliebenen Keime außer Gefecht zu setzen, müsse der Patient die Antibiotikatherapie auf jeden Fall vorschriftsmäßig zu Ende führen. Sellerberg warnt: „Tut der Patient das nicht, werden die verbleibenden Bakterien gegen das Antibiotikum immun. Das Bakterium wird resistent – und beim nächsten Einsatz wirkt das Antibiotikum nicht mehr.“

Quelle: AOK – Die Gesundheitskasse